….und wie uns Schweigen dabei unterstützen kann
Nach vielen Tätigkeits- und Lehrjahren in Indien lebte und lehrte Bernhard Hötzel zehn Jahre in einem Meditationszentrum in Österreich Meditation in den Alltag zu integrieren. Heute leitet er gemeinsam mit seiner Frau Marion das ZENtrum Mondsee. Wir haben uns mit ihm über die Kraft des Schweigens, Verbundenheit und wie wir zu innerer Balance zurückfinden können, unterhalten.
Indigourlaub: Lieber Bernhard, du begleitest Menschen als Meditations-, MBSR- und Achtsamkeits-Lehrer schon seit vielen Jahren auf ihrem Weg nach innen. In einer Welt, in der wir unsere Aufmerksamkeit, so sehr wie vermutlich nie zuvor, fast ständig nach außen richten, um erreichbar, greifbar, präsent zu sein, wie wichtig ist es, den Blick – zumindest hin und wieder – nach innen zu richten?
Bernhard: Diese Frage bekommt nur dann eine Bedeutung, wenn du die Herausforderung annehmen möchtest, dein eigenes Leben bewusst zu erleben. Solange du zufrieden mit deinem Leben bist, solange du dich glücklich, lebendig, spontan und erfüllt fühlst, ist diese Frage völlig bedeutungslos. Wenn du aber hier noch Wünsche in dir spürst, lebendiger und im Einklang mit deinen inneren Antrieben leben möchtest, dann ist es sehr wichtig, zumindest hin und wieder den Blick nach innen zu werfen. Wie sonst könntest du in Kontakt mit deinen seelischen Anteilen kommen, aus denen erst die Entfaltung zu dem, was du wirklich bist, möglich wird.
Indigourlaub: Du bietest in unseren Häusern im Chiemgau, Mühlviertel und auf Mallorca regelmäßig Schweigekurse an. In der Redewendung „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, die aus dem arabischen Raum zu stammen scheint und bereits Hunderte von Jahren alt ist, wird der Wert des Schweigens bereits erkannt. Wie bist du selbst aufs Schweigen gekommen?
Bernhard: Das Schweigen ist ja viel mehr als nicht zu reden. Wenn wir Meditation eine Weile praktiziert haben, dann bietet der bewusste Verzicht auf das Reden eine kraftvolle Möglichkeit, uns selbst besser kennenzulernen. Wenn wir schweigen, haben wir Zugang zu den Ebenen in uns, in denen die uns prägenden Muster gespeichert sind. Diese Muster klopfen dann bei uns an und treten in unsere bewusste Wahrnehmung. Ich hatte einen Lehrer, mit dessen Unterstützung ich eine vollkommen andere und tiefere Form der Meditationspraxis erfahren durfte, und nach einigen Jahren des Zusammenlebens wurde ich darin unterrichtet, wie ich diesen Schweigeprozess anleiten kann.
Indigourlaub: Für den einen oder anderen scheint Schweigen über einen längeren Zeitraum unvorstellbar zu sein. Was rätst du Menschen, die befürchten, das Schweigen nicht auszuhalten?
Bernhard: Im ersten Moment ist es für viele Menschen unvorstellbar, eine längere Zeit nicht zu sprechen, denn über unsere Kommunikation holen wir uns einen Teil der Aufmerksamkeit und die Anerkennung, die wir im Leben brauchen. Daher berichte ich den am Schweigen interessierten Menschen, dass es nicht das Schweigen ist, was wir aushalten müssen, sondern dass wir selbst es sind, den oder die wir aushalten oder besser gesagt „ertragen“ müssen. Das Schweigen ist ein sehr intensiver Weg zu lernen, uns selbst so zu ertragen, wie wir sind. Erst wenn wir das gelernt haben, können wir damit beginnen, uns ganz zu lieben. Wer neugierig darauf ist, was das bedeutet, bringt bereits alle Voraussetzungen mit, um das Schweigen einmal auszuprobieren. Wichtig scheint mir noch, dass dies mit einem Lehrer erlebt wird, der zumindest einmal am Tag, während der Schweigezeit zu einem Einzelgespräch zur Verfügung steht, um dabei zu unterstützen, die Erfahrungen beim Schweigen einzuordnen.
Indigourlaub: Wie kann uns der Prozess des Schweigens bei dieser Innenschau unterstützen und wie wird er begleitet? (Durch Meditationen, Übungen etc.)
Bernhard: Mit dem Schweigen in einem angeleiteten Kurs bekommen wir die Möglichkeit, zusammen mit den anderen Teilnehmenden, ablenkungsfrei mit uns selbst in Kontakt zu treten. Wir erfahren, wer und was wir sind, wenn wir uns nicht mehr mit den äußeren Rollen, die wir im Leben einnehmen, identifizieren. Dadurch kann es gelingen, dass wir mehr von dem wahrnehmen, wer wir sind, sozusagen mehr von unserem inneren Sein kennenlernen. Bei diesem Prozess unterstützen die bewährten Werkzeuge der Achtsamkeit. Gehmeditation, Sitzmeditation, Body Scan und achtsame Körperübungen wie Yoga. Am Anfang brauchen wir eine Anleitung und Begleitung durch diesen Erfahrungsprozess.
Indigourlaub: Viele von uns sind es nicht gewohnt, sich so intensiv mit sich selbst zu beschäftigen, da stellt sich dann oft die Frage, was denn da alles zum Vorschein kommen kann. Was können also ein paar Tage Schweigen und Meditation bei uns bewirken, auslösen, verändern oder anstoßen?
Bernhard: Wenn wir durch diesen Prozess begleitet werden, geschieht nichts, was etwas bewirkt oder auslöst, was wir nicht wollen. Es wird auch nichts angestoßen und es drängt auch nichts zur Veränderung. Bei allen Erfahrungen bleiben wir immer das selbstständig handelnde Subjekt, bewusst und selbstbestimmt. Alles, was zum Vorschein kommt, sind Teile von uns selbst. Manchmal sind es verdrängte Teile oder auch abgelehnte und unbewusste Teile von uns selbst, aber wir erfahren nichts außer uns selbst. Man muss also nicht gewohnt sein, sich intensiv mit sich selbst zu beschäftigen, es ist ausreichend, wenn man ein wenig mehr über sich selbst erfahren möchte.
Indigourlaub: Ein Fokus deiner Arbeit liegt auch auf MBSR-Kursen. Was versteckt sich denn hinter dieser Abkürzung und wie funktioniert das Konzept?
Bernhard: MBSR steht für Mindfulness Based Stress Reduction. Es handelt sich dabei um kein Konzept und auch keine Technik, sondern eine innere Haltung zum Leben, eine Lebenseinstellung. Vom Sinn her können wir MBSR als eine bewusste Lebenshaltung zur Vermeidung von innerem Stress übersetzen, bei der wir lernen, die uns stressenden Faktoren unseres Lebens bewusst zu betrachten, um diese durch ein alternatives Handeln von ihren störenden Einflüssen zu befreien. Wir lernen kennen, was uns daran hindert, unser Leben so zu führen, wie wir uns das wünschen und wir erlernen Methoden, die uns darin unterstützen, mit diesen Dingen aufzuhören. Es ist ein Weg zurück in unsere innere Balance. Wenn wir ein höheres Maß an innerer Balance gefunden haben, sind wir gelassener im Leben und können den Wechsel unserer Stimmungen erkennen, ohne uns von diesem Wechsel der Stimmung beeinflussen zu lassen.
Indigourlaub: Während Meditations- und Achtsamkeits-Kursen fühlen wir uns immer verbunden mit uns selbst und präsent im Hier und Jetzt, ganz selig und eins – das würde uns im Alltag auch ganz guttun. Welchen Tipp kannst du geben, um in diesen Zustand auch im alltäglichen Leben hin und wieder zurückzufinden?
Bernhard: Es scheint mir wichtig darauf hinzuweisen, dass dieser Zustand des „HIER UND JETZT“ immer nur temporär erfahrbar ist. Während dieser Erfahrung sind wir präsent und mit uns selbst verbunden. Diese Verbundenheit nehmen wir, wenn wir diesen Zustand schon ein wenig kennengelernt haben, auch im außen wahr. Also Verbundenheit mit uns und mit anderen Menschen. Auch Verbundenheit mit der Natur, mit Tieren und Pflanzen. Dieses Verbundsein ist das, was wir suchen, was uns lebendig und glücklich sein lässt. Wir können uns bemühen, jeden Tag mit uns verbunden zu sein. Es reicht, wenn es ganz kurz ist. Bewusst und präsent einen Tee zu trinken, ein Tier zu streicheln, eine Yogaübung zu praktizieren. Jeden Tag und dann nehmen wir unsere Erfahrung der Verbundenheit mit in den Alltag. Und wenn mehr Zeit ist, dann eine Sitzmeditation oder eine ganze Reihe von Asanas, oder einen Spaziergang in der Natur ohne Ablenkung. Und wenn wir uns wieder einmal aus den Augen verloren haben, einen Kurs buchen, um von anderen zu erfahren, dass es Ihnen ähnlich geht.
Indigourlaub: Lieber Bernhard, herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick. Deine Ausführungen machen Lust darauf, das Schweigen gleich mal auszuprobieren 😉
Links zu Schweigeretreats und zum MBSR-Kurs mit Bernhard Hötzel:
Schweigeretreat in den Bergen – Indigourlaub
MBSR-Kompaktkurs auf Mallorca – Indigourlaub
Schweigeretreat im Mühlviertler Hügelland – Indigourlaub
Text: Carina Wögerbauer